WUNSCH

Für mich ist auf der Bühne stehen dürfen ein Geschenk. Und wie über jedes Geschenk, es sei, es wäre die berühmte Krawatte, freue ich mich. Zudem beginnt dieses Beschenktwerden bereits mit den hinführenden Proben, weshalb ich mich selbstverständlich auch über die Proben freue.


Daher verwundert es mich immer wieder, wenn ich auf Menschen treffe, denen Gleiches zuteil wird, die aber den Probenprozess als (noch nicht einmal notwendiges) Übel ansehen. Was man dann auch ihnen ansieht. Ein stets erschöpft wirkender Körper, kein Lächeln oder Lachen, keine Konzentration, keine freudige Spannung in der Seele.


Was ist los mit jenen?


Glauben sie, dass es selbstverständlich sei, dass man sie auf eine Bühne lässt? Weil sie so extraordinär gut und begabt seien? Und glauben sie weiter, dass deshalb auch für sie keine Proben notwendig wären?


Die Besten unter den Bühnenkünstlern, die ich das Vergnügen habe persönlich zu kennen, sehen das jedenfalls eher so wie ich. Scheint mir. Man freut sich proben zu dürfen, nicht weil man nicht gut wäre, sondern weil man seine Fähigkeiten für diesen Zeitpunkt in seinem Leben ideal präsentieren möchte. Denn vielleicht wäre es vor einer Woche noch ohne Proben okay gewesen, aber man ist eine Woche erfahrener, älter, verbrauchter, reicher, reifer und muss sein Bestes eben daran anpassen. Nicht im Sinne von „Schneller-Höher-Weiter“, nicht um die Beste oder der Beste im Hamsterrad des Ellenbogendenkens zu werden, sondern eben im Sinne von anpassen, nicht stehen bleiben, sich weiter entwickeln. Und weil jene sich so verhalten, wurden sie eben auch zu den Besten unter den Bühnenkünstlern, die ich das Vergnügen habe persönlich zu kennen.


Von den andern, die ich nicht kenne, unter denen es dann wiederum noch viel Bessere gibt, eben weil auch sie …, von denen ist ganz zu schweigen.


Warum also glaubt jemand, der auf die Bühne möchte, er müsse nicht proben müssen? Glaubt er, er genüge? Nun ja, vielleicht genügt er ja sich. Aber genügt er auch denen, denen er sich auf der Bühne anbietet? Also den Zuschauern - und, so sie oder er nicht alleine auf die Bühne geht, den Kolleginnen und Kollegen?


Haben die anderen, die sich irgendwann gemeinsam mit ihr oder ihm auf der Bühne präsentieren wollen und diese Probennotwendigkeit verspüren, nicht das Recht auf möglichst effiziente und freudvolle Probenarbeit?
Hat der Zuschauer nicht das Recht darauf, von allen, die sich ihm auf der Bühne präsentieren, das Beste im oben genannten Sinn zu bekommen?
Ich meine zwiefach: Ja!


Und deshalb gibt es keine andere Möglichkeit, als voller Lust und Freude proben zu wollen. Mit den positiven Begleiterscheinungen, dass man selbst immer besser wird, ohne nach einem Olymp zu schielen, was die Laune ungemein hebt, dass all die, die in eben diesen Probenprozess involviert sind, freudvoll ebenfalls immer besser werden, ohne die Notwendigkeit zu verspüren, neidvoll nach rechts oder links den Ellbogen ausfahren zu müssen, und dass der Zuschauer die Gewissheit hat, dass er nicht über den Tisch gezogen wird, weil er nicht das bekäme, wofür er bezahlt, nämlich das zu diesem Zeitpunkt von Jenen, die sich ihm präsentieren, Bestmögliche.


In diesem Sinne wünsche ich mir unter den Menschen, denen ich begegne und die auf die Bühne wollen, nur solche, die diese Notwendigkeit zu proben verspüren. Die es als Privileg, als Geschenk ansehen, zu solch einem Probenprozess eingeladen zu werden, und die sich darüber freuen und mit entsprechender Freude dann daran teilnehmen. Für die es ein Geschenk ist, sich auf einer Bühne präsentieren zu dürfen, und die ebendiese dann auch mit einer ungezähmten Freude, wie auch mit einer angemessenen Demut betreten.


Aber - was ist schon der Wunsch? Folgt man Shakespeare - der Vater des Gedankens. Und dieser war hier zu lesen. Ein Gedanke nur. Von einem, der zu alt ist, „um nur zu spielen“, und „zu jung, um ohne Wunsch zu sein“. Goethe.


© Jürgen M. Brandtner - 05.07.2016