Ernst Toller - Zur deutschen Situation

Ernst Toller 1929
Ernst Toller 1929

1932

 

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Der Ungeist herrscht in Deutschland. Gewalt und öde Phrasen triumphieren, Fahnen ersetzen Charaktere, Musik und Krach Erkenntnisse, Paraden Taten.

Von fundierten Überzeugungen, von bewusstem politischem Handeln ist kaum noch die Rede. Ursachen und Wirkungen werden nicht mehr unterschieden. Außenpolitische Konstellationen, ökonomische und soziologische Probleme werden über innenpolitische Tagesparolen vergessen, und die Diskussion wird mit Gummiknüppeln, Stinkbomben und Revolvern geführt.

 

Die Macht der herrschenden Schichten kann sich hemmungslos entfalten,weil Deutschland „das am besten ausgestattete Armenhaus der Welt“ geworden ist und die Masse seiner Bewohner hungernde, verhetzte, misstrauische Menschen wurden. Von Tag zu Tag wachsen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Immer neue Betriebe werden stillgelegt, Bankrotte häufen sich, keine Berufsschicht, keine Berufsart ist frei von der Gefährdung durch Arbeitslosigkeit.

 

In dieser Situation droht der Ansturm des Faschismus, in dem das kopflose, unwissende Kleinbürgertum seine letzte Hoffnung sieht. Kommt der Faschismus zur Macht, wird er, im Besitz des Verwaltungsapparats, der Wehrmacht und der Polizei mit allen modernen militärischen Mitteln die Reste der Verfassung mit Hilfe der Verfassung außer Kraft setzen. Diese Entwicklung zu verhindern, liegt im Interesse der deutschen Arbeiterklasse ebenso wie aller freiheitlichen und nicht mit Blindheit geschlagenen Bürger Europas.

 

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