ALS CECÈ NADA KENNENLERNTE

Ich saß mit meinen Freunden in einem Ristorante. Genauer: Auf dem Gehweg davor. Barolo-Neigen verströmten ihren Duft. Jemand hatte zu Pasta eingeladen und nun machten Espressi die Runde.


Auf Grappa wurde verzichtet. Es war erst Mittag und es war warm. Später Sommer. Kinderwägen rollten im Schlaf vorbei, schöne Mütter im Schlepptau. Stielaugen hinkten hinterher. Und ab und zu tuckerte ein 8-Zylinder-Cabrio den Asphalt entlang und zerschnitt die Zwitschersinfonie, die meine Ohren umflirrte.

 

„Cecè-Cecè-Bobobobob. Cecè-Cecè-Bobobobob.“

 

„Cameriere, il conto, per favore.“ - „Si. Si. Si. Piano! Adagio! Con calma!“

 

„Cecè-Cecè-Bobobobob.“

 

 Wir waren gerade dabei auseinander zu strömen, als sich ein rotschwarzer Austin-Healey 100 mit kernigem Großkolben-Brabbeln um die Ecke schob. Hinterm Steuer dieses akustischen Fischkutters saß eine Wahnsinnsfrau, eine von der Sorte, nach der du dir jeden Finger zweimal leckst. Ihre braunen Augen glänzten brauner als das Nussbaumfurnier des Armaturenbretts. Ihre in Wagenrot lackierten Lippen schrien tonlos: Küss mich! gegen den Fahrtwind. Ihre weiße Cabriomütze im Fliegerhauben-Look schimmerte golden um ihr dunkles Haar in der Nachmittagssonne. Und der cremefarbene Seidenschal umschmiegte ihren schlanken Hals mit der Leichtigkeit der Beine eines Balletttänzers. Ich konnte meine Augen nicht abwenden, bis der Wagen um die nächste Straßenecke verschwand.

 

Jemand schob mir einen Zettel zu. Ich sah Jemand fragend an.

 

„La targa della bellezza. Das Autokennzeichen der Schönheit. Capisce?“

 

 Und schon hob der 2. Satz der Zwitschersinfonie an.

 

 „Cecè, die kriegst auch du nicht herum!“ - „Cecè, die Frau ist ein Quäntchen zu heiß!“

„Cecè, auch dir fehlt für sie hier der Mumm!“ - „Ce, sie heißt Nada, wie hier jeder weiß.“

 

 Das konnte ich, Casanova und Truffatore, natürlich nicht auf mir sitzen lassen.

 

„Ihr glaubt tatsächlich, es gäbe eine Frau, die ich nicht herum bekomme? Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder? Ich meine, ihr kennt mich. Den großen und großartigen Cesare Vivoli. Euern Cecè! Michelangelo der Suade. Liebling der Götter, neben dem selbst Sophokles verblasst. Na? - Wie? - Was? - Oder? - Wollen wir wetten?“

 

„Wetten wir! - Wetten wir! - Ja. Wetten wir!“

 

 Und sogar aus dem Ristorante heraus drang lieblich die Pomadenstimme des Cameriere:

 

„Sì! Certamente! Se scommettiamo! Wetten wir!“

 

« Fein! - Also: Wenn ich euch in drei Tagen, um dieselbe Uhrzeit, nicht einen handfesten Beweis liefere, dass ich, na, sagen wir, bei ihr gelandet bin, hahaha, dann zahle ich euch allen ein Mittagessen! Ach was, ein ganzes Mittagsmenü!“

 

„Bravo! - Bravo! - Bravo!“ - „Bravissimo!“

 

 „Andernfalls aber …“

 

„Andernfalls? - Was jetzt? - Was? Was? - Wie? - Nun seid doch mal ruhig! An-dern-falls?“

 

 „An-dern-falls a-ber zahlt … ihr! Der Reihe nach! Einer nach dem andern. Alle!“

 

„Ah! - Eh! - Ih! - Oh! - Uh!“ - „Bravissimo!“

 

Nun ja, was soll ich sagen? Ein Gentleman siegt und schweigt. Nur so viel: Wer mich kennt, kann … wer mich nicht kennt, soll sich vorstellen, wie ich drei Tage später, exakt um dieselbe Uhrzeit, ein Phileas Fogg der amourösen Abenteuer, neben Nada in ihrem grünen Riley Sprite saß. Sie mit kupferroten Haaren, den Blutmond in die Finsternis stürzend, einen wagenradgroßen himmelblauen Hut überm Schalk im Nacken, in ein spitzbrüstiges, wagengrünes Kleid gehüllt, und mit saphirblauen Augen die Sterne am Nachthimmel auslöschend. So tuckerten wir am Ristorante vorbei, meine rechte Hand zum hoheitsvollen Winken erhoben, während die Linke auf den verführerischsten Schenkeln der Frauengeschichte lag. So fuhren wir und winkten, wie Connie und Blyde, an meinen ach so guten, mir jede Niederlage wünschenden Freunden, die ziemlich belämmert hinter uns her blökten, lüstern vorbei. Vorbei.

 

 

© Jürgen M. Brandtner - 29.09.2015