Sommer der VerFührung

Im Jahre 1271 erhielt Konrad „der Wascher“ ein Hofgut in „Buron“ (Beuren), wovon bis zum heutigen Tage Wäschenbeuren, Wäscherhof und Burg Wäscherschloss künden.

Aus den Forstlagerbüchern von Andreas Kieser, 1685
Aus den Forstlagerbüchern von Andreas Kieser, 1685

Das war noch im Mittelalter. Gestern, wir schreiben mittlerweile das Jahr 2015, waren die „Junge Anna“[1] und der „Alte Mann“[2] an diesem idyllischen Ort. Grund: Sie waren zum „Sommer der VerFührungen“ vom Manuela Kinzel Verlag[3], bei dem sein Büchlein mit schwarzhumoriger Lyrik, „Meine Tante im Keller“[4], erschienen ist, eingeladen worden.

„Sommer der VerFührungen“. Wer verführt dabei wen? Man muss sehr deutlich sein in dieser böse gewordenen, von Neid zerfressenen Welt. Allzu schnell kursieren Gerüchte. Deshalb …
Natürlich geht es beim „Sommer der VerFührungen“ um Verführungen sinnlicher Natur. Aber eben, in diesem Fall, um die Verführung von Zuschauern, Zuhörern, Teilnehmenden mittels Lyrik durch Sprach-Künstler, die die Gedichte vortragen und, wo immer möglich und zuträglich, vorspielen. Sowie aber auch um die gleichermaßen sinnliche VerFührung der Anwesenden durch eine hierfür prädestinierte Landschaft, in der es duftet, tönt, färbt, schmeckt und tastet. Eine Führung der Sinne also durch eine Verführung der Sinne durch die Sinne.
Wer anderes im Sinn hatte … Honi soit qui mal y pense!

Das Wetter war nahezu ideal, sonnig, nicht zu warm, nicht zu kalt. Und der Rundweg erwies sich als bestens geeignet, um die Idylle mit Tabus aufzubrechen.


Station 1:

Ein im finsteren Walde gelegener Platz.

Während alle noch auf den Start warteten, brach sich durchs beinahe undurchdringliche Dickicht aus Bäumen und mannshohen Büschen, deren Schatten in der späten Septembernachmittagssonne einem Rudel Greife nicht unähnlich sahen, ein untoter Chauffeur seinen Weg, um im Vorübergehen seine bizarre Geschichte, die er im Stauferland dereinst erlebt hatte, mit gebrochener Stimme mitzuteilen, bevor er die Stufen zum Wäscherschloss erklomm und ebendort zwischen den Utensilien eines Henkers wieder verschwand. Um die entstandene Schockstarre unter den Anwesenden zu überwinden, wechselte man schnell das Thema hin zu Belang- und Harmlosigkeiten, sprach über die Firmengeschichte von Hapag als auch über Mord. Und mit einem Lächeln auf dem Gesicht zog die Gruppe los.

 

Station 2:

Das Haus einer völlig normalen Bürgerfamilie.

Zufällig standen die Läden und die Fenster an der linken Fachwerkhausseite offen. Die ganze Gruppe drängte sich, ein eigenartiges Sägen vernehmend, leise ans Fenster zum Hof. Was sie dann sahen, ließ ihnen allen das Blut stocken. Wohingegen das Blut eines völlig verschwitzten Mannes, der unablässig auf eine uralte Frau einredete, die an Schläuche und an ein EKG angeschlossen war, ihm und ihr, der Alten, fortwährend ins Gesicht und aufs Häkeldeckchen, das den Beistelltisch zierte und zweifelsohne eine Freizeitarbeit aus besseren Tagen war, sowie in hohen Fontänen zum offenen Fenster hinaus spritzte. Die Knochensäge in des Mannes zitternder Hand sah niemand mehr. Die demontierten Beine unter die Arme nehmend rollte die Gruppe weiter.

 

Station 3:

Das Kirchlein, das im Dorf geblieben war, um den Friedhof, der das Dorf verlassen hatte, zu bewachen.

Tagtäglich, so auch an diesem späten Nachmittag, kam die verstorbene Oma, auf einem BMX-Sarg reitend, und goss die wild sprießenden Rollerskates, schnitt die wuchernden Kletterseile zurecht und harkte rheinische Bingen, bevor sie auf einer wildwässrigen Ackerkrume wieder davon paddelte. Dies alles mit offenen Windjacken schmeckend, hüstelte, mit Stützgräten in den Augen und weit aufgerissenen Schuppen um ihre Spazierspaten, die Gruppe sich, so schnell sie es gegen die spitzen Salven der sich senkenden Septembersonne vermochten, weit über die Ortsmarkierung hinaus.

 

Station 4:

Ein eingefahrener Ackerpfad, der dem Gleisbett ins Land der Alpträume ähnlich sieht.

Mitten im nun fröhlichen Holpern und Stolpern, das den ostinaten Bass zum wanderlustigen Pfeifen verquarzter Lungenflügel lieferte, erstand aus erdigem Grün, mit der montäglichen Plötzlichkeit der Annäherung eines Wochenendes, ein Gleisbett voller blauäugiger Vergissmeinnnicht. Bis über die Haarspitzen in deren Duft versunken, tasteten die Geschmacksknospen der Gruppenmitglieder taub nach dem Rauschen der Liebeserklärungen ihrer eigenen Erinnerungen. Als auf den Libellenflügeln sich paarender Engel ein feiner Zug heran ratterte. Der nahm die ganze Gruppe mit ins nächste Gebüsch.

 

Station 5:

Ein Gebüsch, das einen Lindwurm beherbergt, der, um Diskussionen zu vermeiden, Regenwurm wurde.

Nun ohne auch nur einen einzigen feinen Zug um die verschmitzten Schuhe, hechelt die Gruppe die „Junge Anna“ und den „Alten Mann“ an, während sich in besagtem Gebüsch ein Regenwurm unsagbar, weshalb er sich selbst auch nicht dazu äußerte, in die Holzstielin einer der mitgewanderten Spazierspatinnen verliebte. Aufgrund des Glaubensdisputs unter den Zusinnenden, ob man denn, beim mitternächtlichen Verliebtheitsspaziergang, mit nackten Fußsohlen wohl lieber auf eichhörnchengroße, drachengrünfarbige Lind- oder doch eben Regenwürmer treten möchte, verpasste etwa das Doppel der Hälfte der nicht abwesend Anwesenden das dramatische Ende der Liaison dangereuse - und beschloss, diese Station, aufgrund des einsetzenden Fußekelgefühls, nicht zu wiederholen und schlich sich auf Händen geisterschnell zu …

 

Station 6:

In majestätischer Kaiser-Architektur gehaltener neuzeitlicher Wasserrapunzelabschirmturm.

 



>>> FORTSETZUNG FOLGT ...