Gibt es Zufälle? Eine Antwort übergehend stelle ich einfach fest, dass, passend zum Sommer 2015, Zufalls-Recherchen im Internet mich zu Gedichten des in London lebenden syrischen
Schriftstellers, Journalisten & Publizisten Nouri Al-Jarrah führten.
Was ich las, berührte mich, inspirierte mich.
Und da ich meinen Lyrik-Blog "Lyrik aus Leidenschaft" (vorübergehend?) geschlossen habe, mit diesen Gedichten aber nicht hinterm Berg halten möchte, schreibe ich sie hier auf meiner Webseite
in den Blog.
Für den Fall: Danke fürs interessierte Lesen.
EINS
MEIN GEDICHT IST BLIND
Mein Gedicht ist blind.
Es sieht nicht, was der Wind
über die Berge weht.
Jenes Lispeln, das entsteht,
wenn, mit faulenden Nüstern,
Tote zwischen Gräsern flüstern.
Getreidefelder strecken
sich dem Erschrecken
der Steinlawinen entgegen,
die die Straßen in die Freiheit verregnen
und an den Rändern erstaunten Schnittern begegnen.
Leopardengleich fauchen
Fahrzeuge vorbei. Hinter ihnen rauchen
die Reliefs gewesener Orte.
Ohne Worte
zerren Mütter Töchter zu Verstecken.
Und doch tobt ein Beflecken
zwischen tellergroßen Minen
und Gardinen.
Ungezählte Leiber ergeben
den Lehm, dem Kind gegeben,
Figuren nach den Normen
der Bücher zu formen,
um erschossene Väter -
zuckend im Staub der entflohenen Täter,
ein letztes Mal, im Blut, das glimmt,
bevor der Wind sie mit zu mir nimmt -
im unschuldigen Spiel zu ersetzen.
Mein Spiel, jenseits der Berge, aber ist Entsetzen,
wenn, Steinlawinen ignorierend, der Wind
mir ein Lied, mein Gedicht, erzählt, das blind.
© Jürgen M. Brandtner - 21.08.2015
ZWEI
IN DEN HIMMEL ZEICHNEN DIE WOLKEN
„Die Wolken der Kinder reisen
Und das Gebirge winkt“ *
Auf dem fliegenden Teppich verwischen die Bilder.
War es der Vater oder sein wilder
Sohn, dessen blutende Hand
die tränende andere nicht mehr fand?
Brachte der LKW saftigrote Melonen
oder karrte er aus zerbombten Zonen
Körper, die zerplatzten Melonen glichen?
Begann da ein Verewiglichen
oder schon ein Auferstehen
im Wehen
der beschlafenen Leichentücher?
Keine Bücher
benötigte der Bauer, um zu erlernen
Leichen vom Acker zu entfernen.
Dies ist klar.
Und es war
wohl das zukunftsfrohe Lächeln der Mütter und Väter,
das maskierte Täter
im gierigen Dreck liegen ließen
und kein gequältes Sommerpollenniesen.
Schau vom fliegenden Teppich herunter.
Zwischen den Kindern geht nun munter,
wie er auf Nichtkriegsgebiet heißt, Freund Hein
umher und sammelt jene ein,
die bleiben.
Los jetzt! Treiben
wir die anderen zurück!
In den Himmel zeichnen die Wolken der Kinder das Glück.
* aus: Nouri Al-Jarrah „Die sieben Tage der Zeit II“
© Jürgen M. Brandtner - 22.08.2015
DREI
SIE
Sie
lagern unpoetisch irgendwie
in Containern, für Güter ersonnen,
verschleppte Güter nun selbst, am Bronnen
ihrer Hoffnung. Kopf auf Bauch, Fuß auf Fuß.
Tränen für die helfende Hand. Unterm Gruß
Refugees Go Home! stumm sich windend,
innerlich blutend. Kaum mehr sich findend
tränken sie sich mit Erinnerung …
Menschliche Verwilderung
schuf Welten und Seelen aus Stahl.
Irgendwer befahl
Feuer zu legen: So stahl man ihr Heim.
Der klingende Reim
zweier Messerklingen stahl die Wange der Schwester und
des Bruders linke Hand zur selben Stund.
Weiter! Das blutbesudelte Geifern der Macht
stahl auch der Nutztiere Pracht
und ließ das Einkommen in der roten
Erde versickern. Vorboten
des Sommers übergaben
sich. Und den Raben,
dem Leid zum Hohn,
die Leichen von Sohn,
mit jungfräulichem Flaum,
und Traum.
Hört ihr sie schrein,
die Geflohenen? - Nein!
Es blieb ihnen, denn Korn und Kimme
stahl ihnen gar ihre Stimme,
nur ihr nacktes, heimatloses Leben.
Geben
wir, Bronnen, was nötig zum Hoffen
ist ihnen und zeigen wir offen,
dass Menschlichkeit Zier
sein kann. Und stärker als Gier.
© Jürgen M. Brandtner - 23.08.2015
Und als Post Scriptum sozusagen, weil die Zustände schlimmer und schlimmer werden ...
POST SCRIPTUM
SOMMER 2015
Fast ein strahlend blauer Himmel.
Wäre da nicht das Gewimmel
brauner Sprüche und Gedanken,
die sich laut durch Deutschland ranken.
Mob zieht wieder durch die Gassen,
wirft mit Böllern, Steinen, Tassen.
Wieder splittern Fensterscheiben.
Wieder soll wer hier nicht bleiben.
Und? - Es duldet still und leise
Staat und Volk die braune Scheiße
immer noch. - Und? - Leider wieder
zwingt den Mob kein Wollen nieder.
Mild deodorierte Sprüche
gegen Bestialgerüche.
Bunte Bildchen, handzahm, heiter
gegen aufgebrochen Eiter.
Allgemeines Sofanicken.
Wie schon einmal, wird das Ticken,
patriotisch infiltriert,
in Gemeinschaft ignoriert.
Glaubt ihr immer noch, mein Mahnen
Jahr für Jahr sei für die Ahnen?
Wehret diesen braunen Boten!
Oder sehnt ihr euch nach Toten?
© Jürgen M. Brandtner - 23.08.2015